“Hinter den Spiegeln warten nur Spiegel”: Myth, Dystopia, and Utopia in Peter Eötvös’s Paradise Reloaded (Lilith)
von Jane Forner
Zusammenfassung.
This article argues that operatic attention to myth has evolved in new directions in recent years, in counterpoint to a trend for representing recent historical and celebrity narratives on stage. I analyze Péter Eötvös’s opera Paradise Reloaded (Lilith) as an example of composers engaging ‘distant pasts’ as a vehicle to interrogate political presents.
Using Jewish and secular myths of Lilith, Milton’s Paradise Lost, and Imre Madách’s The Tragedy of Man, Eötvös and librettist Albert Ostermaier construct a feminist-philosophical exploration of knowledge and truth, reflecting themes in modern European society from refugee crises to Putin’s Russia. My approach is three-fold: I suggest that their musical and narrative modes both parody and rely on operatic conventions, centered on the transformation of Lilith from demon-seductress to protagonist. I locate the opera’s utopian/dystopian soundworld in a lineage of 20th century European approaches to satire, irony, and the grotesque in music, exemplified in Shostakovich and Ligeti, drawing on Esti Sheinberg’s theoretical framework.
I situate this study within the 'living archive' of contemporary opera: the contrasting aesthetics of the opera’s three key stagings — Neue Oper Wien (2013), Theater Chemnitz (2015), and Theater Bielefeld (2020) — and my interviews with Eötvös, Ostermaier, and others involved. Finally, I position Eötvös’s own history as a lens to evaluate intersecting musical and political identities, engaging especially Anna Dalos and Rachel Beckles Willson’s work on post-Cold War Central European composers. Ultimately, I propose that Paradise Reloaded offers a revival of Lilith mythology for the 21st century, demanding attention to how opera can navigate a dialectic of dystopian/utopian pasts, presents, and futures.
Alternativ zur Darstellung von zeithistorischen und biographischen Narrativen auf der Opernbühne hat sich in den letzten Jahren eine gegensätzliche Auseinandersetzung mit dem Mythischen Oper entwickelt. Dieser Aufsatz analysiert Péter Eötvös’ Oper Paradise Reloaded (Lilith) (2013) als Beispiel für eine kompositorische Annäherung an eine ‚zurückliegende Vergangenheit‘ als Mittel zur Befragung der politischen Situation der Gegenwart.
Unter Verwendung jüdischer und weltlicher Geschichten von Lilith, John Miltons Paradise Lost (Das vergangene Paradies) und Imre Madáchs The Tragedy of Man konstruiert Eötvös mit dem Librettisten Albert Ostermaier eine feministisch-philosophische Erkundung von Wissen und Wahrheit, die aktuelle politische Themen aufgreift – von der Flüchtlingskrise bis zu Putins Russland. Die Herangehensweise ist dreiteilig: Vorgeschlagen wird, dass die musikalische und die narrative Ebene nicht nur auf Konventionen der Opern basieren, sondern diese auch parodieren. Im Mittelpunkt steht dabei die Transformation von Lilith von einer dämonischen Verführerin zur Protagonistin. Die dystopische/utopische Klangwelt wird dabei in einer Linie mit satirischen, ironischen oder grotesken Werken des 20. Jahrhundert situiert, wie etwa Šostakovič und Ligeti. Der theoretische Rahmen bezieht sich auf Esti Sheinberg.
Diese Studie verortet sich innerhalb eines ‘lebendigen Archivs’ zeitgenössischer Oper und berücksichtigt nicht nur Interviews mit Eötvös und Ostermaier, sondern auch anderen Beteiligten der drei betrachteten, unterschiedlichen Produktionen an der Neuen Oper Wien (2013), am Theater Chemnitz (2015) und am Theater Bielefeld (2020). Ferner wird unter Berücksichtigung von Anna Dalos und Rachel Beckles Schrift über europäische Komponisten nach dem Kalten Krieg eine Betrachtung von Eötvös' Biographie vorgenommen, um Überlappungen von musikalischen und politischen Identitäten beurteilen zu können. Paradise Reloaded präsentiert in diesem Sinne eine Wiederbelebung des Lilith-Mythos für das 21. Jahrhundert. Die Oper verhandelt das Verhältnis von dystopischen und utopischen Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünftigem.