Ulrich A. Kreppein

Ulrich Kreppein wurde im Jahr 1979 geboren. Er erhielt sein Diplom in Komposition von der Robert Schumann Musikhochschule Düsseldorf, war als Austauschstudent an der Columbia University in New York und schloss sein Studium mit dem PhD in Komposition an der Harvard University in Boston, USA, im Jahr 2011 ab. Zu seinen Lehrern zählen unter anderen Manfred Trojahn, Tristan Murail, Julian Anderson und Helmut Lachenmann. Seit Oktober 2014 unterrichtet er Komposition an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar.

Ulrich Kreppein war Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes, des DAAD, der Akademie Musiktheater Heute und er erhielt ein Presidential Fellowship an der Harvard University (Ashford Fellow). Seine Werke wurden mit zahlreiche Preisen ausgezeichnet, unter anderen dem Publikums- und Jurypreises beim Heidelberger Frühling 2011, dem Förderpreises der Ernst von Siemens Musikstiftung 2012 und dem ersten Preis beim Alexander Zemlinsky Wettbewerb der University of Cincinnati 2013.

Er erhielt Kompositionsaufträge von der ROC-GmbH Berlin, dem Callithumpian Consort in Boston, der Britten Sinfonia in Cambridge, dem SWR Stuttgart und dem Orchestre National de Belgique in Brüssel, unter anderen. Seine Werke wurden in der Berliner Philharmonie, der Carnegie Hall in New York, sowie in Paris, Moskau, Düsseldorf, München, Seoul, London und Boston aufgeführt und beinhalten Orchesterwerke, Opern und Kammermusik.

    

Fabian Czolbe

Fabian Czolbe ist Musikwissenschaftler und promovierte über Aspekte der Schriftbildlichkeit in kompositorischen Skizzen des 19./20. Jahrhunderts. Er ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena (Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar), lehrte u. a. in Berlin und Oldenburg, arbeitet als freier Musikjournalist/-kritiker, wirkte als Dramaturg und Akteur an verschiedenen Musiktheaterinszenierungen sowie szenisch-musikalischen Abenden mit und entwickelte für Museen sowie unterschiedliche Konzertformate Vermittlungskonzepte. Schwerpunkte der Forschung bilden die Musik des 20./21. Jahrhunderts, experimentelle/improvisierte Musik, instrumentales Theater, Musiktheater, Klangkunst/Klangperformance, Ästhetik, Notation und kompositorische Schaffensprozesse.

Heft 9

Musiktheater in der Krise? Positionen zwischen Institution und Ästhetik

Mai 2020

ISSN 2191-253X

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Erzählte Zeit – Zeiterfahrung als Narrativ im Musiktheater heute

von Ulrich A. Kreppein & Fabian Czolbe

Zusammenfassung.

Narration in aktuellem Musiktheater wurde lang in zwei Modi gedacht: Zum einen als etwas, das Tradition und Linearität in der Erzählstruktur bedient und zum anderen als etwas, das ebendies negiert (anti-Narration). Dass es zwischen diesen beiden Polen alternative Ansätze gibt, zeigt nicht zuletzt die Literatur- und Theaterwissenschaft, ausgehend von den postdramatischen Theorien Hans-Thies Lehmanns. Die Verengung von Narration auf ein Verständnis als Plot oder als Negation von Narration verstellt die Analyse aktueller Musiktheaterproduktionen. Anstatt festzustellen, was nicht gemacht wird oder wie sich etwas von einer Tradition absetzt, muss gefragt werden, was und wie etwas aus dem Wert, aus der Form selbst heraus ,erzählt‘ oder ,erzählt wird‘. Da Musiktheater in seiner basalen Form immer Abfolge von Ereignissen in der Zeit ist, wird ein erweiterter Narrationsbegriff zugrunde gelegt, der sich, in Anlehnung an Paul Ricœur, auf die Vorstellung von Narration als „l’agencement des faits“ (Anordnung der Tatsachen) gründen soll. Narration, als Zusammensetzen von Geschehnissen durch spezifische Verknüpfungen und als genuin zeitliche Struktur verstanden, kann dann als analytisches Werkzeug fungieren, um in scheinbar ‚nicht-narrativen‘ Werken Prinzipien zu finden, nach denen sich Entscheidungen sequenziell strukturieren. Nicht zuletzt kann bereits alles, was der Konstitution des performativen Raumes dient, als Ausgangspunkt narrativer Semioseprozesse verstanden werden (Hans-Thies Lehmann und Erika Fischer-Lichte). Erzählstrukturen können sich damit heute aus den medial und materiell unterschiedlichen Gegebenheiten des Aufführungsraumes (Bild, Text, Licht, Raum), der klanglich und spielerisch offenen Werkstrukturen und ihrer jeweiligen Aufführung heraus ergeben. Der Aufsatz soll auf dieser Basis einen erweiterteren Narrationsbegriff herausbilden, anhand dessen die temporal situativen Ereignisketten zeitgenössischer Musiktheaterwerke der letzten Jahre (beispielsweise Brigitta Muntendorf, Clara Ianotta, Manos Tsangaris, Helmut Lachenmann oder Luigi Nono) nach ihrer Erzählstruktur befragt werden. Ziel ist es, künstlerische Strategien und werkimmanente Strukturen nachzumodellieren, die Zugriffe auf Narrative aktuellen Musiktheaters bieten.

    

Experience of Time narrated in Music Theatre Today

    

Abstract

Narration in contemporary music theatre has long been thought of in two modes: on the one hand as something that serves tradition and linearity in the narrative structure and on the other hand as something that negates them (anti-narration). That there are alternative approaches between these two poles is demonstrated not least by literature and theatre studies, based on HansThies Lehmann’s post-dramatic theories. The narrowing of narration to an understanding as plot or as negation of narration obstructs the analysis of current musical theatre productions. Instead of determining what is not done or how something sets itself apart from a tradition, one must ask what is told and how something is told out of the value, out of the form itself. Since musical theatre in its basic form is always a sequence of events in time, an extended concept of narration is taken as a basis, based on Paul Ricœur's idea of narration as “l'agencement des faits” (arrangement of facts). Narration, understood as the assembly of events through specific connections and as a genuinely temporal structure, can then function as an analytical tool to find principles in seemingly ‚non-narrative’ works according to which decisions are structured sequentially. Last but not least, everything that serves the constitution of performative space can already be understood as a starting point for narrative semiotic processes (Hans-Thies Lehmann and Erika Fischer-Lichte). Today, narrative structures can thus emerge from the media and materially different conditions of the performance space (image, text, light, space), the open work structures in sound and play and their respective performance. On this basis, the essay is intended to develop a broader concept of narration, on the basis of which the temporal situational event chains of contemporary music theatre values (e.g. Brigitta Muntendorf, Clara Ianotta, Manos Tsangaris, Helmut Lachenmann or Luigi Nono) are questioned about their narrative structure. The aim is to model artistic strategies and structures immanent in the work that offer access to narratives of contemporary music theatre.