Editorial 2011/2: Musik spielen - Computerspiele und Musik
von Melanie Fritsch
November 2010. Wir befinden uns in einem Kino. Die Lichter sind soeben gelöscht worden und wie zu Beginn so vieler Filme ertönt das musikalische Thema von "Universal". Doch heute ist etwas anders. Obwohl der Film noch nicht einmal begonnen hat, ist der Großteil der Zuschauer bereits elektrisiert. Wieso?Der Grund ist der Sound dieses Universal-Themas, es ist aufgemacht in der 8-Bit-Ästhetik früher Computerspiele. Der heutige Film, Scott Pilgrim vs. the World, der auf der Comicbuchserie "Scott Pilgrim" basiert, benutzt die Computerspielästhetik sowohl auf der visuellen als auch der inhaltlichen Ebene und verwendet ebenfalls die Musik von Computerspielen. Während einer Traumsequenz, als leichte, glöckchenartige Musik ertönt, flüstert jemand neben uns mit verzückter Stimme: "Oh, das ist aus Zelda!"
In einem Interview für das Magazin "Wired" kommentiert der Regisseur Edgar Wright diese Szene wie folgt:
We had to get his [des Rechteinhabers Shigeru Miyamoto] permission to use this piece of music from The Legend of Zelda for that dream sequence. So when I was writing to Nintendo to get permission, I was saying: "This music is like nursery rhymes to a generation."1
Und damit hat er Recht: Computerspiele blicken inzwischen auf eine etwa 50jährige Geschichte zurück und mehrere Generationen sind bereits mit Computerspielen, ihrer Ästhetik sowie ihren Sounds und ihrer Musik aufgewachsen.
Auch in anderen Medien, neben den Computerspielen, finden sich Referenzen auf Computerspielmusik oder wir hören sogar die Musik selbst, zum Beispiel wenn die Protagonisten Turk und JD aus der Fernsehsitcom "Scrubs" begleitet von dem typischen Spielsoundtrack "Space Invaders" mit ihren Assistenzärzten spielen (Staffel 7, Folge7); wenn der Charakter Peter Griffin in der Comicfernsehserie "Family Guy" mit dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton "Dance Dance Revolution" spielt, wenn der Schweizer Künstler Guillaume Reymond (von der NOTsoNOISY creative agency) im Rahmen seines Projktes "Game Over" Computerspielklassiker mit Menschen in Kinosälen inszeniert2, oder wenn wir einer Show der Dubai-Fontäne am Lake Burj Khalifa beiwohnen, die von dem Song "Baba Yetu" aus "Sid Meier’s Civilization IV" untermalt wird. Computerspielmusik wird vor großem Publikum in Konzerthallen aufgeführt, sei es im Rahmen von darauf spezialisierten Tourproduktionen wie die Konzertreihe "Video Games Live" (www.videogameslive.com) oder "Play! A Video Game Symphony" (www.play-symphony.com) oder in speziellen Konzertreihen von ständigen Orchestern, wie dem WDR-Rundfunkorchester Köln (z.B. www.symphoniclegends.com). Auch in der Werbung begegnen wir Computerspielmusik, wenn zum Beispiel das bekannte "Tetris" Thema in einer deutschen Autowerbung benutzt wird, um auf das Spiel zu verweisen und das großzügige Platzangebot im Kofferraum des Autos zu bewerben.
Auf diese Weise kommen auch Menschen mit Computerspielmusik in Berührung, die nicht einmal selbst spielen.
Das aktuelle Jahr 2011 hatte gerade erst begonnen, als ein Markstein in der Geschichte der Computerspielmusik gesetzt wurde: Am 13. Februar gewann Christopher Tins bereits genannter Song "Baba Yetu" als erstes für ein Computerspiel komponiertes Stück einen Grammy Award in der Kategorie "Best Instrumental Arrangement Accompanying Vocalist(s)" – bezeichnenderweise nicht in der Kategorie "Film/Television/Media". Der Song ist das Menüthema des Spieles und wurde im Original von der "Stanford Talisman a capella Group" gesungen. Der Text ist die Swahili-Version des "Vater unser" (das offizielle Video kann auf der Website des Komponisten eingesehen werden www.christophertin.com).
Im Lichte all dieser Beispiele scheint es kaum übertrieben festzustellen, dass Computerspiele, ihre Ästhetik und ihre Musik längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und unsere Kultur stark beeinflussen.
Die wissenschaftliche Forschung reagiert bereits auf diese Phänomene, indem ein immer größeres Interesse für die Game Studies zu verzeichnen ist, insbesondere dem Gebiet der Computerspielmusik wird in jüngster Zeit immer größere Aufmerksamkeit gewidmet. Obwohl bereits von Karen Collins, Kristine Jørgensen, Zach Whalen, Kiri Miller, Axel Stockburger, Mark Grimshaw und vielen weiteren Wissenschaftlern eifrig vorangetrieben steckt die Computerspielmusikforschung noch immer in den Kinderschuhen und ist, wie Karen Collins auf der letztjährigen Konferenz "Music and the Moving Image"3 in New York in ihrer Keynote betonte, auf der Suche nach Vokabular, Analysetechniken und passenden Herangehensweisen an den Gegenstand.
Mit dieser Ausgabe unseres Online-Journals ACT möchten wir zu dieser Diskussion beitragen. In seinem Artikel "Playing the Tune" schlägt Tim Summers einen genrebasierten Ansatz vor und analysiert beispielhaft drei verschiedene Genres (survival horror games, strategy games, fighting games), um zu zeigen wie musikalisch-strategische Ähnlichkeiten die Spielgenres durchweben.
Jason Brame bietet in seinem Artikel "Thematic Unity Across a Video Game Series" einen an Schenker angelehnten Analyseansatz, um strukturelle und motivische Beziehungen zwischen den verschiedenen Themen aufzuspüren, die in der The Legend of Zelda-Reihe auftauchen.
Der Beitrag "Chaos in the Cosmos: The Play of Contradictions in the Music of Katamary Damacy" von Steven Reale folgt dem musikalischen Thema, welches als idée fixe des Spieles fungiert und im Verlauf mehrerer Levels des Spiels musikalisch umgestaltet wird.
Melanie Fritsch
1 http://www.wired.com/magazine/2010/06/ff_cerawright/all/1 (Zugriff: 25. Mai 2011).
2 http://www.notsonoisy.com/gameover/ (Zugriff: 25. Mai, 2011).
3 Karen Collins, "Implications of Interactivity: Where Do We Go From Here?", Keynote auf der Konferenz "Music and the Moving Image", NYU Steinhardt, New York, May 25, 2010. Slides unter: http://www.gamessound.com/ (Zugriff: 18. März 2011).