Editorial 2012/4: Ars acustica – Audio Art – Klangkunst
von Sarah Mauksch und Wolf-Dieter Ernst
Während der Beschäftigung mit den Texten aus der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift formulierten sich einige Fragen stetig neu: Wie beispielsweise lassen sich die Begriffe der Ars acustica, Audio Art und Klangkunst voneinander trennen? Worin liegen ihre Überschneidungen und welche Synergieeffekte werden durch die Kombination der wesentlichen Bestandteile – nämlich bildnerisch-künstlerischer und akustischer Elemente – in den entsprechen den Kunstwerken erzeugt? In welchem Verhältnis steht Werk und Aufführung, wenn die Entgrenzung der Künste Programm wird?
Nicht nur von Seiten der Musikwissenschaft und der Theaterwissenschaft zeigt sich die Relevanz des wissenschaftlichen Diskurses um Erscheinungsformen akustischer Kunst. Neuerdings erblickt die Kunstwissenschaft in den Formen audiovisueller Kunst gar eine neues Forschungsfeld. Dieter Daniels und Sandra Naumann schlagen die "Audiovisualogie" vor, um der "Vielzahl von Gattungen und Genres, die Visuelles und Auditives auf unterschiedlichste Weise miteinander verbinden", sinnvoll zu begegnen. Unter "Audiovisualogie" werden die "Konvergenzen und Divergenzen der audiovisuellen Kunstformen, Verfahrensweisen und entsprechenden wissenschaftlichen Forschungen" verstanden.1
Diese Perspektive könnte sich ohne Frage auf den Umgang mit Kunstwerken der Audio Art oder auch der Sonic Art anwenden lassen, in welcher die Künstler und Komponisten akustisches Material mit technisch hoch ausgeklügelten und innovativen Mitteln inszenieren und strukturieren. Fernab der Beispiele in diesem Heft, die sich quantitativ eher im Bereich der Klangkunst gruppieren, stehen für diesen Zweig unter anderem die Arbeiten von Ryoji Ikeda.2
Zieht man den Bedeutungsradius der Kunstformen, die sich gegenseitig aus klang lichen und visuellen Elementen speisen, noch etwas enger als bei der Audio Art – nämlich soweit, als dass sich die Kunstprodukte als Ars acustica 'nur' noch mit dem Neuen Hörspiel in Verbindung setzen lassen – so können die Überlegungen von Klaus Schöning leitend sein. Schöning begreift die Ars acustica als eine musikalisch-kompositorische "Symbiose"3 von Geräusch, Stille und Sprache.
Die mit der Symbiose von Akustik und Bildender Kunst zur Ars acustica, von Hör- und Sichtbarem zum Audiovisuellen einhergehenden Synergieeffekte bieten ohne Zweifel eine unvergleichliche Vielseitigkeit an Darstellungsmöglichkeiten und ein großes Potential zur ständigen Weiterentwicklung ästhetischer, technischer Experimente. Die Grenzen zwischen Autor, Komponist und Regisseur verwischen. Schöning listet einige Prinzipien der Ars Acustica auf: Collage oder Montage, Verräumlichung und Strukturierung der Zeitlichkeit durch rhythmische Parameter, filmische Schnitttechniken wie beispielsweise das Cutup-Verfahren, das Einsetzen von Originaltönen und deren semantische Umdeutung im anderen medialen Zusammenhang des Kunstwerks. Ihren Ursprung haben diese Prinzipien im Neuen Hörspiel und den durch technische Innovation beflügelten Aufbruch der Erzähl weisen gegen Ende der 1960er Jahre. Inzwischen wurden diese Prinzipien in neuen Kontexten zu Merkmalen akustischer Kunst, die nicht nur in Rundfunkstudios, sondern ebenso in Galerien, Theatern, im urbanem Raum oder gar in Form eines Zuges (Projekt sounding D) figuriert, den Barbara Barthelmes in ihrem Beitrag für dieses Heft beschreibt.
Symptomatisch für jene beschriebenen Kunstformen sind die Überlappung von medialen Dispositionen, die Aufweichung von Gattungsgrenzen und die Beanspruchung mehrerer Sinne. Das Zusammenwirken verschiedener Sinneskanäle ist dabei aus wirkungsästhetischer Hinsicht Ursache und Symptom zugleich. Denn die sinnliche Wahrnehmung ist darauf ausgelegt, in der Summe zu wirken und nicht in ihren einzelnen Teilen.
Im Fokus des Heftes stehen intermediale Genres, die unter dem Dachbegriff der akustischen Kunst verstanden werden können. Hier gilt es vor allem dem performativen Charakter dieser Kunstformen aufzuspüren, ihren genuinen Aufführungscharakter zu reflektieren. Dieser Blickwinkel, welcher von den in Szene gesetzten Kunst werken oft selbst vehement eingefordert wird, offeriert differenzierte Zugangsweisen zu Kunstprodukten, die sich aus Grenzüberschreitungen entwickeln und schärft ihn gleichzeitig, um einen Aspekt dieser Kunstformen zu erhellen.
Barbara Barthelmes (Berlin) zieht in ihrem Beitrag ein spannendes Resümee des langjährigen Projektes Netzwerk Neue Musik, das 2011 in einem zweiwöchigen Spektakel, einer durch Deutschland führenden Reise des Klangzugs sounding D, kulminierte.
Giacomo Albert (Turin) untersucht in seinem Beitrag die Wurzeln der Klanginstallationen bis 1966 anhand ihres Verhältnisses zum Rezipienten. Er führt aus, wie sich in der Rezeption unterschiedliche Konzepte von Theatralität nachzeichnen lassen.
Um Klang als Komplementär von Stille geht es im Beitrag von der Klangkünstlerin Elena Flügge (Berlin), die unter anderem der Frage nachgeht, welche Bedeutung die Präsenz oder Abwesenheit des Rezipienten in Bezug auf die Wirkung des Kunstobjektes besitzt. Dabei werden Klangkunstwerke von Peter Ablinger und Akio Suzuki, die nicht klingen, aus ihren historischen Bezügen zu Kunstformen seit den 1960er Jahren untersucht. Worin kommt Musik in Kunstwerken ohne Klang zum Ausdruck? Wie lassen sich Körperlichkeit und der spezifische Gehalt von Aufmerksamkeit durch Abwesenheit anhand dieser Werke nachvollziehen?
In unserem Review-Teil, der wie in jedem Heft thematisch frei ist, denkt Hans J. Wulff (Kiel) über Daniela Schulz' 2012 erschienene Dissertation über den deutschen Schlagerfilm der 1950er bis 1970er Jahre nach und Ulrike Hartung (Frankfurt a. M.) unterzieht den 2012 veröffentlichten Dokumentationsband über das von Charles Wilson initiierte Watermill Center einem prüfenden Blick.
Die Werke akustischer Kunst, gerade die der Klangkunst, vermögen Hören und Sehen auf spezifische Weise zueinander in Beziehung zu setzen. Oder, um mit den Worten Claudia Tittels zu sprechen: "[...] die Entstehung dieser intermediären Kunstwerke [sind] weder ohne die grenzerweiternden Entwicklungen im musikalisch-kompositorischen, noch ohne jene im künstlerisch-visuellen Bereich denkbar"4. Das vorliegende Heft liefert damit seinen Anteil zur Debatte um künstlerische Erscheinungsformen eben diskutierter Grenzbereiche.
Sarah Mauksch
Wolf-Dieter Ernst
1 Dieter Daniels und Sandra Naumann: "Ewig aktuell. Überlegungen zu einer Geschichte der audiovisuellen Künste", in: Positionen. Texte zur aktuellen Musik (2012), H. 91, S. 2–6, S. 2. Vgl. hierzu auch die beiden von den Autoren herausgegebenen Bände mit dem Titel Audiovisuology, Köln 2010 und 2011.
2 In Deutschland waren kürzlich zwei Arbeiten von Ikeda zu erleben. Der Hamburger Bahnhof Berlin widmete ihm zu Beginn des Jahres 2012 in seiner Reihe "Musikwerke Bildender Künstler" eine Sonderausstellung zum Werk db. Außerdem war seine Arbeit Superposition in die Ausstellung Sound Art. Sound as Medium of Art im Zentrum für Kunst- und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) integriert. Weitere Informationen auf der Homepage des Künstlers unter http://www.ryojiikeda.com/ (Zugriff: 08.12.2012).
3 Klaus Schöning, "Ars Acustica – Ars Performativa", in: Performance im medialen Wandel, hrg. von Petra Maria Meyer, München 2006, S. 149–177, S. 150.
4 Claudia Tittel: "Zwischen den Stühlen. Potenziale einer hybriden Gattung", in: Positionen. Texte zur aktuellen Musik (2012), H. 90, S. 34–37, S. 34.