Simone Fohr-Manthey ist Promotionsstudentin der Universität Bayreuth. Sie arbeitet zu Fragen der Gattung, Intermedialität und Gender.

Issue 3

On Wagner

May 2012

ISSN 2191-253X

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Die doppelte Triade: Wotan – Loge – Erda/Wagner – Freud – Butler

von Simone Fohr-Manthey

Zusammenfassung.

Dieser Aufsatz unterzieht Richard Wagners Rheingold einer Relektüre, die sich auf die darin enthaltenen Momente moderner Konzepte hin-sichtlich Inhalt und Handhabung der gesanglichen Disposition konzentriert. Diese sind, erstens, die Destabilisierung des Ich-Begriffes und, zweitens, Freuds Konzept der drei Instanzen (Ich, Es und Über-Ich) die das Selbst beherrschen. Einen dritten Schwerpunkt macht Wagners Idee eines androgynen Systems jenseits des Dualismus von Männlichkeit/Weiblichkeit aus, wie es von Judith Butler beschrieben wird. Eine Analyse der dramatischen Funktion und Gesangspartien – in Hinblick auf die oben genannten Prämissen – der Charaktere Wotan, Loge und Erda soll dabei aufzeigen, ob und wie Richard Wagner, ein Musikdramatiker des 19. Jahrhunderts, als Protomodernist und somit als Wegbereiter der Moderne gewertet werden kann.

 

Abstract.

This essay offers a reading of Richard Wagner’s Rhinegold as a work in which important tendencies of modernity are prefigured in the opera’s narratological and vocal dispositions. These tendencies are, first of all, the destabilization of an intact identity and, second, the Freudian-based concept of the three aspects of the psyche, the id, the ego, and the super-ego, which govern the individual self. A third focus is on Wagner’s ideas of an androgynous system beyond the dualism of maleness/femaleness, as described by Judith Butler. With these premises, an analysis of the opera’s dramatic function and vocal parts for the characters Wotan, Loge, and Erda shows whether Richard Wagner, as an author-composer of the late nineteenth century, can be regarded as a protomodernist and thus a pacesetter for modernity.

 

Einleitung

Obschon die Ausmaße der Wagner-Forschung der oftmals postulierten 'Größe' ihres Gegenstandes in nichts nachstehen, sind längst noch nicht alle Nischen des enormen Themenkomplexes ausgeleuchtet. Im Gegenteil: mit der zunehmenden Geschwindigkeit des globalen, inter- und transdisziplinären Progress’ der gesamten Wissenschaftskultur(en) erschließen sich ständig neue Anknüpfungspunkte für vertiefende Studien in Sachen Richard Wagner. Zwei solche noch relativ junge Ansätze sollen hier vereint und auf das Werk Wagners angewendet werden: Stimm- und Genderforschung. Als Anschauungsgegenstand mag hier der Vorabend der Ring-Tetralogie dienen und hieraus speziell die Figuren-Trias Wotan – Loge – Erda.

Ausgehend von der These, dass Wagner in seiner (Kunst-)Philosophie und seinem musikdramatischen Schaffen als Wegbereiter der Moderne gelten kann,1 ist das Rheingold einer Relektüre zu unterziehen, die sich in der Tat zunächst als philologisch auffassen lässt, akustische Parameter aber zwingenderweise mit einschließt.

Die Personnage des Wagner’schen Rings wurde oft als archaisch und mythisch aufgefasst, und obwohl zahlreiche Inszenierungsansätze die hohen Gottheiten und HeldInnen als 'normale Menschen' auszudeuten vermögen, bleibt ihnen ein Kern von universaler Symbolfunktion. Hier klingen Reminiszenzen an die Freud’sche Psychoanalyse beziehungsweise C.G. Jungs Theorie der Archetypen an, die aus poetogenetischer Sicht auf Wagner bezogen zwar anachronistisch scheinen, unter Berücksichtigung des Postulats, nach welchem Wagner als Protomodernist gelten mag, jedoch in eine fruchtbare Forschungsrichtung weisen, die bereits bei Michael Stürmers Plädoyer für Wagner als Zerstörer und Neuerer seiner eigenen Zeit anklingt:

 

Welches war aber Richard Wagners Zeit? Die 70, 80 Jahre vor seinem Tode, oder die 70, 80 Jahre seitdem und bis heute? Das 19. Jahrhundert lieferte nicht nur den Entwurf einer neuen Welt technisch-industrieller Rationalität, es lieferte mit Marx, mit Nietzsche, mit Freud – und vielleicht auch mit Einstein – noch die Kritik an sich selbst und die geistigen Instrumente, dieser Kritik radikal Folge zu geben. Richard Wagner wird man zu diesen Meisterdenkern zählen müssen, die aufbauten und einrissen. [...] [Er] wollte sehr weit zurück und sehr weit voraus. Durch Theater und Oper wollte er die Überwindung der modernen Welt bewirken.2

Wenige Jahrzehnte nach Wagners Tod, mit dem Anbruch der Klassischen Moderne 'um 1900', macht sich ein allgemeines gesellschaftliches Unbehagen breit, das nicht zuletzt dem Verlust eines einfach zu fassenden Identitätsbegriffes geschuldet ist. Die in diesem sozio-kulturellen Substrat wurzelnden Erkenntnis der Psychologie, nach denen das Individuum in drei Instanzen gespalten ist (Ich, Es und Über-Ich3) und das Ich somit als ganzheitliche Entität 'unrettbar'4 wird, verweisen auf einen größeren zeitlichen Zusammenhang, der um einiges früher einsetzt und die Auffassung von menschlicher Identität bis heute prägt. Aus dieser Aktualität heraus drängt sich die Frage auf, ob nicht bereits der megalomanische Ansatz, den Richard Wagner mit seinem Ring verfolgt – die Darstellung einer Weltgenese, deren Entwicklung über lange Zeiträume hinweg bis hin zu ihrem Niedergang und hoffnungsvollem Wiederbeginn –, auch eine frühe Thematisierung des Ich-Begriffes ist und zwar unter der Prämisse, dass das menschliche Individuum per se in disparater Form in seiner Umwelt waltet und daher kein ganzheitliches Handeln, das sofortige Folgen augenfällig zeitigt, möglich ist – was in der Moderne-Forschung als zentrales Symptom einer Desorientierung der Menschheit innerhalb ihrer Umwelt konstatiert wird:

 

die göttliche Schöpfung zerfällt in objektivierte Natur und subjektiven Eingriff des Menschen, und der Mensch zerfällt in das Gattungswesen, das für die Einrichtung der Welt verantwortlich ist, und das Individuum, das eben diese Einrichtung als eine ihm fremde erfährt. [...] Die Freiheit des Willens, die das moderne Individuum sich selbst zuspricht, stößt in der Auseinandersetzung mit der Natur auf Widerstände, die das Resultat seines Projekts in dem Maße deformieren, wie es die Eigengesetzlichkeit der Natur mißachtet. [...] Die Problemlage des modernen Menschen drängt daher danach, einen Raum möglichen Handelns zu entwerfen, der der Fatalität der Verkehrung von Projekt und Resultat entgeht. [...] Ein Handeln, das diese Forderungen erfüllt, setzt sich selbst allerdings enge Grenzen. Denn es darf weder die Natur zu seinem Stoff nehmen noch sich auf die Gesellschaft als Sphäre einander widerstreitender Willensäußerungen einlassen. Es muß sich aus dem System kontrollierten Eingreifens in Naturprozesse ebenso zurückziehen wie aus dem Beziehungsgeflecht strategischen Handelns innerhalb der Gesellschaft.5

 

Das 'moderne' Ring-Personal

Lesen wir Wagners Ring als "Wotanstragödie",6 so herrschte schon in mythischer Vorzeit der Geist der Moderne – und Wotan zeichnet dafür verantwortlich. Deutungen der Wotansfigur durch die Forschungsliteratur weisen immer den Aspekt des aus dem Ruder gelaufenen Machtsystems auf, dessen Urheber keine Kontrolle mehr über die selbst etablierten Strukturen hat. So charakterisiert Sven Friedrich Wotans tragische Anlage, auf die auch schon Udo Bermbach verweist, wie folgt:

 

Die Tragödie Wotans ist die Tragödie des Politikers. Er verlagert das politische Handeln von der an das Subjekt gebundenen Vernunft auf eine mechanistisch verwaltende, abstrakte Institution des Vertragswerks [...], womit das politische Handeln selbst institutionalisiert wird und damit nicht mehr an den freien Willen gebunden ist. Der Politiker-Gott als einstmaliger Besitzer und Gestalter der Macht wird damit selbst zum Objekt und Opfer seines eigenen Systems. Es gibt keine aktiven Entscheidungen mehr, sondern nur noch passive, verwaltbare Entscheidungsprozesse unter Rückgang persönlicher Verantwortung.7

Konsequenterweise – auch der dramaturgischen Logik der Gesamtdisposition der Tetralogie geschuldet, nach der jeder Teil durch eine andere Sphäre und deren Angehörige geprägt ist, – vollzieht Wotan den Schritt des völligen Rückzugs aus dem Geschehen. Ließ seine Macht im Ringen mit Fricka um das Schicksal Siegmunds (Walküre) merklich nach, so "greift Wotan [in Siegfried, Anm. S. F.-M.] in der Tat nicht mehr aktiv in das Geschehen ein [...] sondern läßt alles gewähren, nimmt gleichermaßen einen neuen Anlauf"8. Dieser neue Anlauf führt allerdings nicht mehr zu einer Beteiligung am Weltenlauf sondern wird stellvertretend von Wotans Geschöpfen im biologischen wie geistigen Sinne – Brünnhilde und Siegfried – ausgeführt und zu Ende gebracht (Götterdämmerung).

Eine weitere Hauptrolle des Rings, die, obwohl in der Forschung bislang vernachlässigt,9 in ihrer dramaturgischen Tragweite der Wotans aber nahe steht, ist die Figur des Loge.10 Eine umfassende Charakterisierung der Loge-Figur, wie sie im Rheingold auftritt, bieten Friedrich beziehungsweise Deryck Cooke. So vereine der Feuergott folgende Funktionen, die sich in Teilen widersprechen mögen: "freier Interessenvertreter", "Unruhestifter, der die anderen Götter in Verwirrung stürzt und sie wieder daraus befreit", "kompromißloser Vertreter und Verkünder auch geschmackloser Wahrheiten", "Spötter der anderen Götter", "Favorit Wotans".11

Dem entspricht auch Jean Shinoda Bolens Ansicht, nach welcher Loge in erster Linie eine Version des Götterboten darstellt12 und als "trickster and traveler with a characteristic quickness of movement, agility of mind, and facileness of word"13 erscheint. Loges Wesen wird dabei auch musikalisch ohrenfällig, sein "unstete[r] flackernde[r] Charakter [...], seine Ambiguität [...] ist durch Sechzehntelfiguren gekennzeichnet, die Grundlage aller Loge-Motive sind."14

In Bezug auf das Verhältnis Loges zu den weiteren ProtagonistInnen des Rings, herrscht eine etwas disparatere Lage vor: Bereits Felix Gross etabliert Loge – sicherlich zum Teil berechtigt – als Vertreter eines amoralischen Intellektualismus, der aber keineswegs mit Nihilismus gleichzusetzen ist, was im Lichte Nietzsches Wagner-Rezeption und -Kritik nur allzu leicht postuliert wurde, obschon Loge sicherlich "außerhalb der gesetzten Normen und moralischen Werte steht"15. So bemerkt Friedrich weiterhin dezidiert:

 

Der Deutung Loges als willenlos, als zweckfreien Theoretiker, der tätig wird nur aus der Lust am Spiel des eigenen Intellekts, muß dagegen natürlich entschieden widersprochen werden! Denn natürlich fungiert Loge ganz im Gegensatz vielmehr als Anwalt der Rheintöchter und somit der Natur selbst. [...] Sein Trachten ist also darauf gerichtet, den harmonischen Urzustand der Natur wieder herzustellen, die Restitution des Mythos voranzutreiben. Die Listigkeit Loges ist nur Mittel zum Zweck, keineswegs Selbstzweck.16

Erweist sich Wotan als tragischer Gefangener seiner eigenen Machstrukturen, so repräsentiert "Loges tragische Ironie [...] die Tragik des Intellektuellen schlechthin":

 

Er erscheint als eine Art 'Spielleiter' des Rheingold, der die Fäden zieht, sich an der äußeren Handlung jedoch selbst so gut wie nicht beteiligt, und ist somit Ingenieur und Regisseur der verdienten und unausweichlichen menschlich-politischen Tragödie.17

Obwohl er zur Recht als Spielleiter bezeichnet werden kann, tritt der Feuergott nur im Rheingold als Person in Erscheinung. Sein Wirken als Elementarkraft bestimmt allerdings die wichtigen Eckpunkte und Wendungen des gesamten Ring-Geschehens. So ist er mit seiner Wandlung vom personifizierten Halbgott zur Waberlohe, die Brünnhilde umgibt bis hin zum Weltenbrand, die Zentralgestalt des retardierenden und gleichsam rekapitulierenden Nornen-Trialogs, der in der Götterdämmerung die relevanten Geschehnisse der vorhergegangenen Teile der Tetralogie vor Augen rufen soll.

 

The oldest Norn [...] complains that she no longer sees the sacred visions that Loge used to light up with his radiant fire. [...] The second Norn tells her how Wotan controlled Loge with his spear and summoned him to surround Brunnhilde with his fire. The third Norn [...] describes how the fire will be summoned that will send Valhalla up in flames.18

 

Wie diese werkinterne Rückschau belegt, zeichnet Loge von Anfang bis Ende mitverantwortlich für die Entwicklung des Geschehens, wenn auch zum geringsten Teil aktiv handelnd. Ihm eignet definitiv eine "Protagonisten-Eigenschaft", diese "sei indessen nicht quantitativ, wohl aber qualitativ."19

Ebenfalls aus dem eigentlichen Geschehen herausgenommen und dennoch auf nicht zu unterschätzende Weise involviert ist die Figur der Erda, "...der ew’gen Welt Ur-Wala"20 – so ihre Selbstbezeichnung, wenn sie im Rheingold mahnend Wotan zum Ringverzicht anhält. Beachtung sei hier vor allem ihrem dramaturgischen Gewicht zugemessen: Innerhalb des gesamten Rings entfallen zwei Szenen auf die Präsenz Erdas; ihre Warnung im Rheingold sowie ihre Zwiesprache mit Wotan im Siegfried.21 Dabei fällt auf, dass Erda jeweils reagiert aber keinesfalls aus einem eigenen Ur-Impuls heraus handelt – sie ist in ihren Handlungsmöglichkeiten durch Wotans Um-Ordnungen in der Welt stark eingeschränkt. Im Rheingold wird dies augenfällig:

 

Die Bühne hat sich von Neuem verfinstert; aus der Felskluft zur Seite bricht ein bläulicher Schein hervor: in ihm wird [...] ERDA sichtbar, die bis zu halber Leibeshöhe aus der Tiefe aufsteigt.22 

Erda, die Frau ohne Unterleib, ist zur Reglosigkeit verurteilt, und lediglich fähig durch Geist und Wort zu wirken. Handeln im engeren Sinne ist dies nicht, da etwaige Mit-Agenten oder AdressatInnen sich einem bloßen 'Wirken' entziehen könnte. Dabei ist Erdas Position innerhalb des Personengefüges und der Handlung – wiederum ähnlich wie bei Loge – die Rolle der 'Antagonistin im positiven Sinne'. Nur Erda, die (anders als Loge) immer (noch) ein naiv-intuitives Naturwesen repräsentiert, das ohne Kalkül und Winkelzüge benennt statt lenkt, vermag in Wotan den letzten Rest seines moralischen Verantwortungsgefühls aufrecht zu erhalten. Dies endet in einer paradoxen Konstellation: "Wotan möchte von Erda lernen – auch wenn er sie vergewaltigt."23 Wotan schätzt Erda als wissende Ratgeberin, sucht ihre Kompetenz, weiß sich aber nicht anders Zugang zu ihr zu verschaffen, als durch Gewalt. Hier zeichnet sich deutlich ab, was bereits in der oben genannten Regieanweisung im Rheingold anklang: Der Dichotomie Weisheit/Handeln ist die antithetische Paarung Weiblich/Männlich beigeordnet. Dieter Borchmeyer, der sich dem Aspekt des Wissens im Ring annimmt, konstatiert hierzu wie folgt:

 

Auch in der Ring-Tetralogie gibt es verschiedene, nach der Wissenstiefe hierarchisch abgestufte mythische Schichten, deren tiefste von der Urmutter Erda [...], deren oberflächlichste hingegen die von mythischen Erfahrungsquellen nahezu abgeschnittene Männerwelt Hundings und der Gibichungen mit den von ihnen rücksichtslos verdinglichten Frauen repräsentieren. Die tiefste mythische Wissensschicht geht mit Wotans Gesellschaftsvertrag [...] – also mit dem Anbruch der männlichen Herrschaftswelt zunehmend verloren. "Urmütter-Weisheit" vergeht [...] vor Wotans "Willen" [...]. Erdas Wissen ist ein mythisch-unverfügbares, das sich nicht instrumentalisieren läßt [...]. Eben die mythische Dimension der Weiblichkeit ist [...] durch das männliche Herrschaftswissen bedroht. [...] Gerade was dieses Herrschaftswissen nicht aus sich heraus erzeugen kann, sucht es zu instrumentalisieren.24

Doch dieser Antagonismus ist keineswegs ein eingleisiger Diskurs; vielmehr sind Erda und Wotan in einer Dialektik begriffen. Setzt man das Postulat als Prämisse, nach dem Erda als Weltenschöpferin die Quelle alles Existierenden sei,25 so ist auch Wotan eingebunden in ihre Schöpfung und gezwungener Maßen den Weltgesetzen, die lange vor seinem Vertragswerk herrschten, unterworfen – was sich im Konflikt der 'Wotanstragödie' zeigt. Erda als kreative Kraft, als Schöpferin und Gebärerin der "Wunschmaid"26 Brünnhilde ist nicht wegzudenken aus Wotans Weltentwurf. Sie ist, ganz im Gegenteil, sogar nötig, um Wotans Handeln dahingehend zu lenken, dass er seine Pläne revidiert, sich zurückzieht und den Menschen einer neuen Zeit, die sich darin heimisch fühlen, die 'Bühne überlässt'. Wobei nicht davon auszugehen ist, dass Wotan in seiner patriarchalen Weltordnung der Frau als solcher einen 'wichtigen' Platz zumisst, sondern, dass Wotan an Brünnhilde erfährt, dass Herrschaftssysteme – seien sie patriarchalisch oder freiheitlich organisiert – immer auch Wechselwirkungen eingehen: Brünnhilde entspringt dem einen System, um ihre eigene Ordnung entgegensetzen zu können. Beides führt letztlich aber durch die 'Interferenzen' zum Weltenbrand, der jede Ordnung tilgt.

In diesem Sinne ist auch die Rolle Erdas zu verstehen, die durch ihre Gegenposition zu Wotan und seinem System ihn erst "die Begrenzung seiner Freiheit durch die Einbindung in den Organismus des Erdenlebens" erfahren macht, woraufhin "der Wille zur Tat" sich "konfrontiert mit dem Sein" sieht.27 Diese Konfrontation endet mit "Wotans Paralyse in einem Scheinsieg über die einzig ebenbürtige Antagonistin unmittelbar vor der endgültigen Demontage seiner Autorität durch Siegfried".28 Eine gewisse 'feministische Häme' bleibt in dieser Deutung des Verhältnis’ Wotan/Erda nicht aus, dennoch bleibt sie stimmig in ihrem Fazit, nach welchem Erda "den Lauf der Ereignisse an[hält], indem sie mit ihrer Offenbarung Wotan eine Bewusstseinsdimension eröffnet, deren kosmischer Gesetzmäßigkeit er trotz allen Aufbegehrens nicht mehr entkommt."29

 

Wotan – Loge – Erda: Eine Konstellation

Nach den obigen Einzelbetrachtungen soll im Folgenden der Versuch einer zusammenführenden Deutung der Personenkonstellation Wotan – Loge – Erda vorgenommen werden. Hierbei sei nochmals die protomoderne Verweiskraft des Rings betont: Wotan, der seines ganzheitlichen Seins verlustig ging und damit die gesamte Welt in einen Zustand der a-kausalen Bezugslosigkeit stürzte, steht als tragischer Protagonist in allen Teilen der Tetralogie – mal aktiver, mal passiver in die Bühnenhandlung involviert – im Zentrum des Geschehens. Seine Rolle und Funktion im dramaturgischen wie stückimmanenten Sinne, wird tangiert von Ansprüchen, Forderungen, Eigenschaften und Interessen anderer Einzelpersonen, Gemeinschaften, Kollektive oder Prinzipien, die sich, je nach Situation, auch in sich ändern mögen. Interessant ist daher, gerade die Verbindung Wotans zu jenen beiden Figuren zu beleuchten, die, wie bereits erläutert, außerhalb des Geschehens stehen: Loge und Erda. Es ergibt sich hierbei eine Triade, in deren Mitte Wotan als Anker innerhalb der Handlung der gesamten Tetralogie fungiert. Um ihn ordnen sich die beiden anderen, die untereinander ebenfalls Bezüge aufweisen.

Diese Konstellation erinnert an die eingangs erwähnte Theorie Freuds, nach der das menschliche Ich in die drei Instanzen Ich, Es und Über-Ich gespalten ist, die sich gegenseitig beeinflussen. Das Ich steht hierbei für das Individuum, wie es handelnd in der Welt agiert, das Es für seine Triebnatur und das Über-Ich für eine Kontroll-Instanz, die das Handeln an herrschenden Normen abgleicht.30 Es gibt sicherlich zahlreiche mehr oder weniger gelungene psychoanalytische Deutungen des Rings, wovon die Bolens hier bereits Erwähnung fand. Daher soll in dieser Hinsicht nicht weiter argumentiert werden. Was das freudianische Modell allerdings als Werkzeug in diesem Kontext brauchbar macht, ist seine Offenheit, mit der das Individuum aufgefasst wird. So können einzelne Figuren plötzlich neue Facetten aufweisen, wenn man sie als Teile anderer Einzelfiguren oder Figurenkonstellationen betrachtet, allerdings nicht im Hinblick auf eine dramaturgische Funktionalität, sondern auf ihre innere Disposition.

Der Aspekt der Persönlichkeitsspaltung (hier nicht pathologisch zu verstehen) wurde in der Forschungsliteratur bisher nur im Verhältnis Wotan/Brünnhilde thematisiert. Unter ausdrücklichem Verweis, dass nur Brünnhilde das gemeinsame Kind Wotan und Erdas sei,31 spricht Susanne Vill von der Walküre als Seelensplitter Wotans; als "Anima".32 Auch Bermbach erkennt dies, sieht allerdings darin einen narzisstisch-pathologischen Zug: "Brünnhilde – das ist die andere Seite Wotans, und in soweit ist die Liebe Wotans zu Brünnhilde unzweifelhaft eine Form der Selbstliebe."33 Genealogisch rückwärtsgewandt führt die Seelenverwandtschaft Wotans mit Brünnhilde zur Elterngeneration seiner 'Anima':

 

Brunnhilde is the daughter of Erda, the wise, and Wotan, who sought wisdom. When Wotan wakes Erda to ask if the swiftly turning wheel can be stopped, the answer is beyond her knowledge. She tells him he can learn the answer from their daughter [...] who is both wise and courageous.34

Auch Erda hat einen Teil in Brünnhilde ausgelagert. Ihre Gabe der Weisheit, die noch an der alten Weltenordnung, wie sie vor der Errichtung von Wotans Machtsystems herrschte, geschult ist, hat sie weitergegeben an ihre Tochter, die nun – den Nornen gleich – wissend das Weltgeschehen erfährt. Dies verbindet wiederum Erda mit Wotan. Im Aspekt des Wissens stellen sie aufeinander bezogene Pole dar, die sich nicht ausschließen, sondern bedingen: Erda als kreative Ur-Kraft kann Wotan nur aufzeigen, was er selber bereits an Wissen in sich trägt, indem sie ihn lehrt zu wissen: durch die Initiation Brünnhildes in das Weltgeschehen, wo sie stellvertretend für ihren Schöpfervater ausagiert, was er an progressiv-positivem Tun der Welt noch schuldig ist.35 Letztlich ist Brünnhilde aber weder die gewünschte 'Vater-Tochter', noch die 'Rächerin' der instrumentalisierten Mutter – sie ist vielmehr die Synthese dieser Verbindung, die nicht nur auf einer rein genealogischen Ebene vorherrscht, sondern wiederum darauf verweist, dass beide Ordnungs- beziehungsweise Herrschaftssysteme – Wotans Patriarchat und Erdas Ur-Schöpfung – nicht nur gegenseitig konkurrieren, sich bedrohen oder auslöschen, sondern in ihrer Konfrontation Raum für neue Entwürfe eröffnen, den Brünnhilde zu füllen weiß.

Doch ist die Entwicklung des Rings zu seinem Ende hin mit einer weiteren Kraft verknüpft – der Kraft des Feuers, Loges. Eine Deutung des Verhältnis’ Wotans zu Loge, die bisher gängig scheint, stellt beide Figuren in einen einseitig servilen Zusammenhang:

 

Wotan, mit dem Loge ja [...] auf das Engste verbunden erscheint, ist gerade in diesem Zusammenhang ein politisches Subjekt von hoher Aktualität. Er ist handlungsunfähig geworden durch ein selbstgestricktes, aber nicht mehr beherrschbares System von Sachzwängen, die aktives Handeln [...] zum reinen Reagieren degradiert. Loge ist stets dienendes Werkzeug, welches aber schließlich losgelöst vom unwirksam gewordenen Bann des schwach gewordenen Gottes Wotan die Macht hat, im Weltenbrand dessen ganze Welt zu vernichten.36

Außerdem erweise sich Loge als advocatus diaboli, der Wotan endgültig korrumpiert, wenn er ihn erst zum Handel mit den Riesen und dann zum Rückgewinn des Ringes durch Raub anstiftet.37 Genauso wenig wie Loge als 'willenlos' oder 'zweckfreier Theoretiker' gelten kann,38 ist er also bloßer Diener Wotans – vielmehr sei er nach Friedrich "auf vielfältige und ambivalente Weise mit Wotan verbunden, während er jedoch zu den anderen [...] Göttern tatsächlich in Opposition steht."39 Was beide verbindet ist – wie im Verhältnis von Wotan und Erda – das Wissen, das keiner einseitigen Verteilung unterliegt und sich der Dichotomie Intellekt/Willen entzieht:

 

denn Loge ist ja keineswegs vollständig dem Willen Wotans unterworfen, nicht einmal in seiner körperlich personifizierten Erscheinung. Zwar muß er dem Banne Wotans und der zwingenden Spitze seines Speeres gehorchen, wenn er sich diesem aber durch den transformatorischen Wandel zurück zu elementaren leckenden Lohe entzieht, gehorcht er allein nur noch dem unwillkürlichen Willen der Natur selbst.40

Gleichermaßen ist Loge aber auch ein Teil Wotans. So wie Erda Wotans schöpferisches Potential bereichert und katalysiert, vermag Loge als vermeintlich externe Kraft das Denken des Herrschergottes zu beeinflussen. Bolen sieht diese Interdependenz dem intellektuell-analytischen Wesen des Feuergottes geschuldet: "Loge is also an archetypal predisposition to think of the possibilities that abound, to assume nothing is fixed. [...] As a trickster, he can see susceptibilities in others and play on them."41 Folgerichtig argumentiert sie weiter:

 

In The Valkyrie, as in The Rhinegold, Fricka is Wotan’s voice of reality who confronts his self-delusions. Once again, Wotan is trying to get around the agreement that he made with the giants to build Valhalla years before. This time, he does not blame Loge or expect Loge to handle his problem for him. Psychologically, 'Loge' is no longer an outside influence but is instead a devious way of thinking Wotan does himself.42

Loges Verbindung zu Erda, die das Dreieck komplettiert, funktioniert ebenfalls über den Aspekt des Wissens beziehungsweise der Weisheit. Beide agieren als Ratgeberin beziehungsweise Ratgeber Wotans. Sie gehen stellvertretende Schritte, die er alleine zu gehen nicht fähig wäre und verraten dabei doch nie ihren Moralkodex, der sich aus ihrem jeweiligen Erfahrungsschatz speist. Doch beiderlei Wissen ist verschieden:

 

[Loge] ist wissend wie Erda aber nicht in dunklem, orakelhaftem Schlaftraum, sondern in wacher, welthellsichtiger Vernunft. Dieses reine Wissen ist ungetrübt durch subjektives, begehrendes Wollen. Zwar durchschaut er leidenschaftslos die tieferen Zusammenhänge, doch hat er nicht die Macht, in diese einzugreifen. [...] Loges Handeln ist dabei der nur dem Gesetz der Logik gehorchende Rat. Doch er rät ohne deutende Hinweise, nicht warnend, nicht moralisierend.43

 

Wotan – Loge – Erda: Eine vokale Geschlechter-Ordnung

Es wurde bereits thematisiert, dass in Wagners Ring ein Antagonismus des weiblichen und männlichen Prinzips besteht, der sich unter anderem in der Dichotomie Weisheit/Herrschaft ausdrückt. Spätestens seit Judith Butlers Gender Trouble44 sind diese Kategorien – männlich und weiblich – nicht mehr als absolut naturgegeben zu betrachten, sondern als gesellschaftliche Konstrukte, die in ihrer Ausgestaltung sich wandelnden Auffassungen unterliegen, aus denen heraus eine künstliche Ordnung der Welt vorgenommen wird. Dies, vorausgesetzt nämlich, dass biologisches und soziales Geschlecht ('sex' und 'gender' in Butlers Terminologie) in keinem Falle eine empirisch-ontologische Berechtigung haben, sondern lediglich Ausdruck einer spezifischen Gesellschaftsordnung sind, soll im Folgenden jenes Verhältnis von Weiblichem und Männlichem in der Weltenordnung des Rings untersucht werden. Dabei sei allerdings eine weitere Kategorie hinzugezogen, die sich unmittelbar an die Gender-Thematik anschließt – die Stimme. Gerade im Musiktheater des 19. Jahrhunderts bilden sich stereotype Stimmfächer heraus, die wiederum in spezifische Stimm-Konstellationen eingebettet werden. Das Beispiel schlechthin ist das heldische Liebespaar Sopran/Tenor. Dieser aus musikhistorischer Sicht einigermaßen willkürlicher Zuordnung45 entsprechen wiederum gesellschaftliche Vorstellungen vom geschlechtstypischen Ideal – 'sex' und 'gender' werden nicht nur in der körperlichen Erscheinung, sondern auch in der körperlichen Emanation des vokalen Ausdrucks offenbar.

Im Bezug auf Richard Wagners theoretisches wie musikdramatisches Schaffen sind beide Forschungsfelder noch relativ unbestellt. So bildete sich erst in jüngerer Zeit der immensen akademischen Wagner-Exegese ein Interesse sowohl an Wagners Geschlechter-Bild als auch an den vokalen Dispositionen seiner Musikdramen heraus.46 Dies soll hier ausgebaut werden.

Chrono-logisches Vorgehen impliziert dabei, das Geschlechterbild zu Wagners Schaffenszeit, das ein gegengeschlechtliches Verständnis von Weiblichkeit und Männlichkeit aufweist, als solches hinzunehmen und die Konstellation der beiden Pole zu untersuchen. Wie bereits erwähnt, zeigen sich ähnliche Gegensätze wie der von Mann und Frau in den Handlungsmaximen der Ring-Personnage, was am Beispiel Wotan/Erda bereits anklang. Diese scheinen – zumindest auf die Handlung selbst bezogen – inkompatibel. Zieht man aber die Kategorie der Stimme hinzu, ergeben sich Zwischenstufen, die eine scheinbar so klare Differenzierung etwas komplexer wirken lassen.

In der Forschung bisher am meisten Beachtung fand Wagners Frauenbild, das sich knapp zusammengefasst wie folgt darstellt:

 

Wagners Dramen zeigen wie die Liebe und Hingabe der weiblichen Figuren in der Auseinandersetzung mit dem Handeln und der Macht der Männer scheitert und zerstört wird. Das Spektrum seiner Frauentypen ist facettenreich. Vom Archetyp des Weiblichen, der großen Mutter, greift Wagner die positive Seite aus der germanischen Mythologie auf und personifiziert sie in Erda; den erotischen Aspekt stellt er in Venus vor und kontrastiert sie mit der Anrufung der Gottesmutter Maria. Über diverse Stadien der Vermenschlichung des weiblichen – Halbgöttinen, Naturgeister, Feen, Emanationen der Natur, über Rollentypen von Frauen – das unschuldige Opfer, die Liebende, die Aufopferungsbereite, die Vertraute, Schwester, Ehefrau, Amme, Hexe – reicht das Spektrum der Frauentypen bis hin zur Frau als erlösungsbedürftiger Verführerin.47

Es wird also eine Vielfalt an Typen geboten, die allerdings niemals unabhängig von ihren/m jeweiligen männlichen Gegenüber(n) ihre dramaturgische Funktion entfalten, geschweige denn ihre Charaktertiefe gewinnen.

Von hier aus sei ein Blick auf Wagners theoretisches Œuvre geworfen: Explizit mit Fragen von Geschlecht befasst sich im Grunde nur sein Aufsatz Über das Weibliche im Menschlichen,48 so

 

daß von einer dezidierten Philosophie des Weiblichen bei Wagner [...] nicht die Rede sein kann. Stattdessen wäre wohl eher von einer Phantasmagorie des Weiblichen zu sprechen, eine Leitidee, die weniger als soziales Faktum, eher noch als erotische Metapher, und am nächsten vielleicht als ästhetisches Ideal erscheint, in dem Menschliches und Künstlerisches verschmelzen.49

Was hier bereits dem weiblichen Prinzip als eingeschrieben zugemessen wird, ist die transitorische Anlage, die eine 'Verschmelzung' impliziert. Diese Metapher verweist auf ein Geschlechterkonzept, das zwar auf der Polarität von Männlichkeit und Weiblichkeit aufbaut, über die Option der Annäherung, der Verschmelzung, aber auch Zwischenstufen zulässt. Zurückgehend auf die antike Vorstellung eines geschlechtlich ganzheitlichen Geistes, der als Gattungswesen Mensch in Mann und Frau aufgespalten ist, klingt hier wieder das Ideal der Androgynie an.

In Oper und Drama, das dreißig Jahre vor dem oben genannten Aufsatz entstanden ist, spricht Wagner bereits von der Musik, dem "liebende[n] Weib"50, der im Musik¬drama die männliche Dichtkunst zugesellt wird. Daraus folgert Ursula Link-Heer:

 

Das Modell, mit dessen Hilfe Wagner das Unmögliche einer Wiedervereinigung der Künste denkt, ist das der Androgynie. Auch wenn der Begriff der Androgynie bei Wagner zu fehlen scheint, konnte dieses Modell dennoch unmöglich übersehen werden. [...] Die Faszination durch das androgyne Modell erschient bei Wagner doppelt lesbar: zum einen als eine Faszination, der Wagner selbst in seinem ausgeprägten Verlangen nach der Einheit seines Werks und der Gleichursprünglichkeit seiner Doppelbegabung unterworfen ist, zum andern als eine Faszination, die von diesem Werk ausgegangen ist, um die Exploration weiterer vor allem literarischer Spielarten des Androgynen zu ermöglichen.51

Die 'musiktheaterwissenschaftliche Spielart der Literatur' nahm sich indes den androgynen Verheißungen an, die in Wagners Werken der Entdeckung harren – bislang jedoch in beschaulichem Umfange. Zu erwähnen ist in jedem Fall Jean-Jacques Nattiez’ Studie Wagner Androgyne52, die sowohl thematisch als auch argumentatorisch Neuland betritt. Nattiez konstatiert, dass Wagner das androgyne Prinzip als Modell versteht, mit dem die disparate Schöpfung des Musikdramas aus Musik und Dichtung zur Einheit zu fügen ist. Allerdings – so Nattiez – herrscht kein werkimmanentes Äquivalent dieser Anlage vor, obschon aus den Werken heraus der Androgynie-Begriff ausgeweitet werden kann auf den umfassenderen Kontext der Kunstproduktion beziehungsweise ihrer Geschichte sowie den Kontext einer grundlegenden Philosophie des Lebens.53 Der Mythos des Rings entspräche demnach dem Verlauf der Musikgeschichte; das Verhältnis von Dichtung und Musik eben der Paarung Mann und Frau.54

In Übereinstimmung mit Nattiez ist zu bemerken, dass kein Charakter des Wagner’schen Universums per se als androgyn gekennzeichnet ist. Selbst die solistischen Hosenrollen des Adriano im Rienzi oder des Hirtenknaben im Tannhäuser disqualifizieren sich aufgrund ihrer Motivation durch gängige Opernkonventionen beziehungsweise eines Jugendstereotyps, das sich in einer hohen Stimmlage ausdrückt und, im Falle des Hirtenknaben, ohnehin oftmals mit Knabensopran besetzt wird. Ein tieferer Blick in die Bezüge der Geschlechterverhältnisse des Rings – und hier auch speziell auf die vokalen Anlagen bezogen – offenbart allerdings, dass in der Tat Androgynie-artige Figurenkonzepte vorliegen.

Wotan – Loge – Erda / Bariton – Tenor – Alt. So lesen sich die Stimmlagen der hier untersuchten Charaktere. Spezifizieren ließen sie sich in Bassbariton oder Heldenbariton, hoher Tenor, jugendlicher Heldentenor oder Charaktertenor und tiefer oder dramatischer Alt.55 Die Vielfalt der Bezeichnungen weist auf ein Problem der Stimmeinteilung hin, das bislang in Musiktheatertheorie und -praxis noch nicht gelöst wurde und in diesem Rahmen nicht weiter vertieft werden kann. Daraus ersichtlich wird allerdings, dass die absolute Tessitur einer Partie aussagekräftig ist, genauso wie ihre Positionierung im Gesamtgefüge der Personnage des jeweiligen Stücks.56

Wie nun fügen sich die drei Charaktere in dieses ein? Auch hier zeigt die existierende Forschungsgrundlage ihren Hang zu den großen HeldInnenrollen, insofern als wenig über Wotans, Loges und Erdas vokale Verfasstheit bekannt ist. So existieren zwar viele Interviews mit Wagner-Sängerinnen, in denen ihre Rollenauffassung und ihre Gestaltung der Partien, wie die der Brünnhilde, zur Sprache kommen. Jenseits dieses Wagner’schen Spezialfaches – dem (hoch)dramatischen Sopran – verbleiben lediglich situationsgebundene Analysen aus Zeitungsrezensionen oder ähnlichem, was sicherlich auch der Virtuosität geschuldet ist, mit der vor allem die zahlreichen Wagner-Heroinen ihr Publikum zu bannen vermögen. Was das weibliche Stimmspektrum betrifft, bemerkt Barbara Josephine Guenther, dass die einzigen solistischen Alt-Rollen nur Erda, Mary und die erste Norn sind.57 

Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das individuelle Stimmmaterial aller SängerInnen sich ohnehin einer starren Kategorisierung allein aufgrund des jeweils spezifischen Zusammenwirkens von Timbre, Umfang, Geläufigkeit, Durchschlagkraft und Korrespondenz mit dem körperlichen Phänotyp entzieht, macht sich hier ein deutliches Ungleichgewicht bemerkbar, das den Sonderfall zur Regel erklärt. Im Falle der Frauenstimmen ist dies bei Wagner die tiefe Lage.

Blickt man auf das dramaturgische Gewicht der männlichen Figuren, so fällt auf, dass hier vor allem die Heldentenöre und der Bariton im Mittelpunkt stehen. Neben dem 'hohen Paar' kann also der Bariton als neutraler Charakter oder – im Falle Wotans – als eigentlicher Held der Tragödie noch eine gewisse Hochachtung und individuelle Behandlung schätzen. Die restlichen Fachzuordnungen entfallen bei etablierten Besetzungs-Standards.

Die Personen-Trias Wotan – Loge – Erda offenbart aber gerade durch das In-Bezug-Setzen der drei Charaktere auch in ihrer stimmlichen Disposition eine neue Tragweite, vor allem im Hinblick auf die zugrundeliegenden Gender-Konzepte.

Neben dem positiv besetzten Tenor-Helden, dem ein weiblicher Gegenpart gegeben ist, im Ring durch Siegmund und später natürlich durch Siegfried vertreten, steht im Zentrum des Geschehens der Bariton-Held Wotan, dessen Schicksal anders tragisch verläuft. Er scheint in seinen Idealen gebrochen und vermag zu erkennen, aber nicht mehr zu handeln. Der virilen, hohen männlichen Lage, die in Szenen höchster Leidenschaft zu brillieren vermag, steht ein hadernder Grübler gegenüber, der aber gleichsam nicht weniger 'männlich' erscheint beziehungsweise klingt, wobei die tiefere Lage und das dunklere Timbre das Alter und damit den Vorsprung an Lebenserfahrung ohrenfällig machen.

Wotan steht auch im Zentrum der hier beleuchteten Dreier-Konstellation und verkörpert damit sowohl das Neutrale, als auch die Norm, an der Abweichungen dingfest gemacht werden können – und diese treten in der Tat auf:

In Loge ist eine Spielart des Tenors gegeben, die von ihrem Umfang nahe am Heldentenor liegt,58 von ihrem Konnotat und ihrer musikalisch-kompositorischen Anlage ausgehend allerdings weit entfernt davon liegt. Die Alt-Lage Erdas wiederum ist ebenfalls keineswegs viel höher angelegt als eine durchschnittliche Tenor-Tessitur59  und weist demnach, der Logik der akustischen Konvention hoch-weiblich/tief-männlich folgend, ebenfalls eine Tendenz zum Androgynen auf, die dadurch verstärkt wird, dass die Figur Erda für ein zutiefst weibliches Prinzip steht.

Wie bereits erwähnt kennzeichnet die Motivik und Vokalmelodik Loges eine extreme Agilität, die seinem flackernden Naturell entsprechen soll und sich in kurzen Notenwerten, Sprüngen und allgemeinem Parlando-Charakter seiner Passagen zeigt. Dies korrespondiert mit der Besetzung als Tenor – eine Lage, die meist ein Timbre mit sich bringt, das, wenn es nicht heldisch-dramatisch geprägt ist – die musikalischen Anforderungen dieser Partie mit einer transparenten, spröden Leichtigkeit oder gar Schärfe erfüllt und somit einen deutlichen Kontrast zum schweren Fach bildet, wie es zum Beispiel durch Siegfried im Ring vertreten ist. Dieses Fach ist durch Spitzentöne, Höhen- und Stärke-Akzente, längere Legato-Passagen sowie grundsätzlichen Farben- und Affekt-Reichtum gekennzeichnet und steht im Bereich der Tenor-Lage für den Typus des männlichen Helden. Versetzt man die Attribute eine Lage tiefer – in die Bariton-Lage – so ergibt sich ein vokales Profil, das von Wotan, dem tragischen Helden, erfüllt wird. Hier kann man weiter argumentieren, dass eben in der tieferen Lage das Männliche zugunsten des Tragi¬schen der Heldenfigur in den Hintergrund rückt. So mag man sich denn auch Siegfried nicht ohne Brünnhilde denken; Fricka – als Wotans Frau gerät allerdings schnell in Vergessenheit aufgrund der weltbewegenden Ereignisse, die ihr Gatte anstößt und durch die hindurch wir ihn begleiten. Kompositionspraxis besetzt also nicht nur Figuren mit Stimmlagen und -fächern sondern auch mit Geschlechtervorstellungen und -bildern.

Wotan ist in diesem Kontext folglich als doppelt-androgyn zu betrachten – um Nattiez zu widersprechen, der androgyne Figurenkonzepte bei Wagner ja ausschloss. Zum einen ist Wotan auf einer vokalen Ebene nicht durch eine Zugehörigkeit zu einer heterosexuellen Zweierkonstellation gekennzeichnet.60 Zum anderen reiht er sich mit Erda und Loge in eine Riege von stimmlichen 'Randfiguren' ein, denen er – vokal61, aber auch von seiner dramaturgischen Positionierung im Gesamtgefüge des Ring-Personals – ein Bindeglied bereitstellt, das ihre Marginalität verschwinden lässt und sie am Zentralgewicht des obersten Gottes teilhaben lässt. Dieses Verbindende ist wiederum auf der konzeptionellen beziehungsweise ideellen Ebene der Tetralogie angesiedelt. Es handelt sich erneut um den Aspekt des Wissens. In ihrer Teilhabe und in ihrem Umgang damit, kennzeichnen sich alle drei Figuren als Eckpfeiler einer androgynen Anlage, in deren Zentrum nun Loge steht. So bemerkt Friedrich:

 

Wie das von ihm verkörperte Element des Feuers repräsentiert Loge die Antinomie von lebenserhaltendem und lebensspendendem Wärme-Potential. [...] In Loge streiten sich also die Prinzipien Natur und Geist/Intellekt.62

Bezieht man in diesen Kontext Bolens Aufteilung in einerseits das 'weibliche Wissen', verkörpert durch Erda und charakterisiert durch zeitliche und kollektive Ganzheitlichkeit und andererseits in den rationalen 'männlichen Intellekt' ein,63 wie er Wotan eignet, so scheint Loge beiden Konzepten verhaftet zu sein – ein Eindruck, der sich dadurch verstärkt, dass er nicht nur per se als wandelbar und unstet gekennzeichnet ist, sondern, dass auch sein ureigenes Element, das Feuer, gängigen Zuschreibungen von sowohl weiblichen Stereotypen (Wärme, Lebendigkeit, lebensspendende und -erhaltende Eigenschaften) als auch männlichen (Zerstörungskraft, Unaufhaltsamkeit, lebensvernichtende Eigenschaften) entspricht.

 

Fazit

In der Einleitung wurde Wagner als Protomodernist bezeichnet und seine Figurenkonzepte mit zwei zentralen Ideen einer modernen Weltauffassung assoziiert: Dem instabilen Ich, das sich in seiner eigenen Weltenordnung fremd fühlt, da sein Handeln keine unmittelbar einsetzende beziehungsweise wahrnehmbare Wirkung zeitigt und den drei Instanzen (Ich, Es und Über-Ich), die den vormodernen Ich-Begriff, der noch ganz auf Geschlossenheit und Einheit basiert, ablösen. Diese prekären Dispositionen finden sich, wie es am Beispiel der Figuren Wotan, Erda und Loge aufgezeigt wurde, in den personellen und symbolischen Anlagen der Wagner’schen Musikdramen, insbesondere des Rheingold: Wotans Pläne scheitern an seiner eigenen Weltenordnung, er ist zu sehr verstrickt, als dass sein Handeln noch unmittelbar in der Wirkung sein könnte. Die Figuren-Trias Wotan – Loge – Erda bildet eine eigene Einheit, die sich um einen gemeinsamen Kern gruppiert, wobei jede der drei beteiligten Instanzen in spezifischen Situationen jeweils ihren Aspekt ausstellt, den sie mit dem Kern teilt, sie aber von den beiden weiteren Instanzen unterscheidet. Während sich die 'Wotanstragödie' als Tragödie des modernen Menschen hauptsächlich über die narrative Ebene mitteilt, so liegt der Schlüssel für das Verständnis der triadischen Konstellation Wotan – Loge – Erda auf einer anderen, nämlich der vokalen Ebene. Dabei wird nicht nur die Beziehung von Stimm- beziehungsweise Rollentypen und damit verknüpften Konnotaten evident, sondern insbesondere auch die Einbettung derselben in einen kulturellen Diskurs der Geschlechterkonstruktion. Die Neubewertung von Geschlechterbildern, geprägt vor allem durch Butler, ist ebenfalls der Moderne als Katalysator für post-moderne Neuordnungen der Kategorien männlich/weiblich geschuldet. Indem Richard Wagner durch die Konfrontation von Herrschaftssystemen, die einerseits jeweils einem Geschlechter-Prinzip zugeordnet sind, andererseits aber auch durch die Zusammenführung dreier Charaktere mit verschieden konnotiertem 'vokalem Gender' zu einer prä-Freud’schen Synthese, eine sich destabilisierende und dadurch vielfältigere und freiere Geschlechterordnung evoziert, errichtet er die Keimzelle einer Geschlechter-Utopie, die in einem ganzheitlich-sozialen Sinne eine neue Gesellschaftsordnung verheißt – und zeigt hierin sein protomodernes Potential.

 


1 Vgl. Richard Klein, "Wagners plurale Moderne. Eine Konstruktion von Unvereinbarkeiten", in: Richard Wagner. Konstrukteur der Moderne, hrg. von Claus-Steffen Mahnkopf, Stuttgart 1999, S. 185–225.

2 Michael Stürmer, "Abschied und Aufbruch. Zur geistigen Situation der Jahrhundertwende", in: Richard Wagner, Mittler zwischen Zeiten. Festvorträge und Diskussionen aus Anlass des 100 Todestages. Schloss Thurnau 1983, hrg. von Gerhard Heldt, Anif bei Salzburg 1990, S. 9–26, hier S. 10f beziehungsweise S. 21 (Wort und Musik. Salzburger Akademische Beiträge, hrg. von Ulrich Müller, Franz Hundsnurscher und Oswald Panagl, Bd. 3).

3 Vgl. Siegmund Freud, Das Ich und das Es, Wien 1932.

4 Vgl. Ernst Mach, Erkenntnis und Irrtum, Leipzig 1917.

5 Peter Bürger unter Mitarbeit von Christa Bürger, Prosa der Moderne, Frankfurt a. M. 1988, S. 13–15.

6 Udo Bermbach, "Wotan – der Gott als Politiker", in: "Alles ist nach seiner Art". Figuren in Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen", hrg. von Udo Bermbach, Stuttgart und Weimar 2001, S. 27–48, hier S. 47. Vgl. Siegmund Freud, Das Ich und das Es, Wien 1932.

7 Sven Friedrich, "Loge – der progressive Konservative", in: Bermbach, Alles ist nach seiner Art (s. Anm. 6), S. 178–197, hier S. 193.

8 Bermbach, "Wotan" (s. Anm. 6), S. 40.

9 Für Einzelstudien vgl. Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 178; Carl Walther Simon, "Das vergöttlichte Element. Gedanken zu Wagners Loge – eine analytische Betrachtung", in: Programmheft der Osterfestspiele Salzburg, Salzburg 1968, S. 40ff; Felix Gross, "Versuch einer vollständigen philosophischen Deutung von Wagner’s Ringmythos. Die Gestalt Loges im Ring", in: Bayreuther Blätter, Nr. 30, Bayreuth 1907, S. 257; Wieland Wagner, "Richard Wagners Loge", in: Programmhefte der Bayreuther Bühnenfestspiele, hrg. von der Festspielleitung, Bayreuth 1951, H. 3. S. 6ff; Deryck Cooke, I Saw the World End. A study of Wagner’s Ring, London 1979.

10 Vgl. Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 186. Mit Bezug auf Gross, Versuch einer Deutung (s. Anm. 9), S. 257.

11 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 188. Mit Bezug auf Cooke (1979).

12 Vgl. Jean Shinoda Bolen, Ring of Power. The Abandoned Child, The Authoritarian Father, and The Disempowered Feminine. A Jungian Understanding of Wagner’s Ring Cycle, San Francisco 1993, S. 30.

13 Bolen, Ring of Power (s. Anm. 12), S. 30f.

14 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 191.

15 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 188, vgl. ebd. S. 193.

16 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 186f, mit Bezug auf Gross, Versuch einer Deutung (s. Anm. 9), S. 261. Vgl. auch Friedrich, ebd., S. 189.

17 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 192.

18 Bolen, Ring of Power (s. Anm. 12), S. 136, vgl ebd. S. 177.

19 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 186, mit Bezug auf Gross, Versuch einer Deutung (s. Anm. 9), S. 257.

20 Richard Wagner, Das Rheingold, Textbuch mit Varianten der Partitur, hrg. von Egon Voss, Stuttgart 2007, S. 87.

21 Vgl. hierzu die Rolle Erdas im musikdramaturgischen Kontext, thematisiert in: Susanne Vill, "Erda – mythische Quellen und musikalische Gestaltung", in: Bermbach, Alles ist nach seiner Art (s. Anm. 6), S. 198–224, hier S. 209–224.

22 Wagner, Das Rheingold (s. Anm. 20), S. 86, Kapitälchen im Original.

23 Sabine Zurmühl, "Visionen und Ideologien von Weiblichkeit in Wagners Frauengestalten", in: "Das Weib der Zukunft". Frauengestalten und Frauenstimmen bei Richard Wagner, hrg. von Susanne Vill, Stuttgart und Weimar 2000, S. 57–69, hier S. 64. Vgl. hierzu auch Vill, "Erda" (s. Anm. 21), S. 207: "Er [Wotan; Anm. S. F.-M.] begreift nicht, daß ihr Wesen das Sein ist, das sich nicht in seine Dimension, das Tun, transformieren kann, dieses jedoch umgreift."

24 Dieter Borchmeyer, "Über das Weibliche im Menschlichen in Richard Wagners Musikdramen", in: Vill, Das Weib der Zukunft (s. Anm. 23), S. 34–43, hier S. 40f.

25 Vgl. Vill, "Erda" (s. Anm. 21), S. 198.

26 Richard Wagner, "Der Nibelungen-Mythus. Als Entwurf zu einem Drama. (1848.)", in: Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, sog. Volksausgabe beziehungsweise 6. Aufl., Leipzig 1913, Bd. 2, S. 156–166, hier S. 164.

27 Vill, "Erda" (s. Anm. 21), S. 198.

28 Vill, "Erda" (s. Anm. 21), S. 207.

29 Vill, "Erda" (s. Anm. 21), S. 198.

30 Vgl. Freud, Das Ich und das Es (s. Anm. 3).

31 Vgl. Susanne Vill, "'Das Weib der Zukunft'. Frauen und Frauenstimmen bei Wagner", in: Dies., Das Weib der Zukunft (s. Anm. 23), S. 6–33, hier S. 14.

32 Vill, "Erda" (s. Anm. 21), S. 203.

33 Bermbach, "Wotan" (s. Anm. 6), S. 44.

34 Bolen, Ring of Power (s. Anm. 12), (1993), S. 175.

35 Vgl. Vill, "Das Weib der Zukunft" (s. Anm. 31), S. 13.

36 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 193.

37 Vgl. Bermbach, "Wotan" (s. Anm. 6), S. 37 sowie Bolen, Ring of Power (s. Anm. 12), S. 30.

38 Vgl. Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 186f.

39 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 188. Vgl. hierzu auch Wieland Wagners Charakterisierung, nach der Loge als "geradezu geistige[r] Widerpart" Wotans zu gelten hat. Friedrich, ebd., S. 187.

40 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 187, mit Bezug auf Gross, Versuch einer Deutung (s. Anm. 9).

41 Bolen, Ring of Power (s. Anm. 12), S. 31.

42 Bolen, Ring of Power (s. Anm. 12), S. 64.

43 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 192. Zur musikdramatischen Ausgestaltung dieses Beziehung vgl. Friedrich, ebd., S. 191.

44 Judith Butler, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York und London 1999.

45 Obschon im 18. Jhd. bereits galante Liebhaber oftmals mit Tenören besetzt wurden, galt natürlich als heldisches Stimmideal dieser Zeit und der Zeit davor schlechthin der Kastrat. Mit dem Niedergang des Kastratenwesens 'rutschte' diese Zuordnung quasi eine Stimmlage tiefer – in die höchste von Männern erreichbare, die des Tenors. Dennoch gibt es vor allem im slawischen Kulturraum Besetzungskonventionen, die die erwähnte Zuordnungswillkür noch eindringlicher vor Augen beziehungsweise Ohren führen. Als Beispiel sei Ruslan und Ljudmila (Michail Glinka; 1842) genannt, dessen Titelpaar aus Sopran und Bass besteht.

46 Zum Beispiel Jean-Jacques Nattiez, Wagner Androgyne. Essai sur l’Interprétation, Paris 1990; Silke Leopold, "Von der Allge-walt vollsten Hingebungseifers. Weibs-Bilder in Wagners 'Ring'", in: Richard Wagner – "Der Ring des Nibelungen". Ansichten eines Mythos, hrg. von Udo Bermbach und Dieter Borchmeyer, Stuttgart u. Weimar 1995, S. 59–74); Vill, "Das Weib der Zukunft" (s. Anm. 31) (2000); Vill, "Erda" (s. Anm. 21).

47 Vill, "Das Weib der Zukunft" (s. Anm. 31), S. 12.

48 Richard Wagner, "Über das Weibliche im Menschlichen. (Als Abschluß von 'Religion und Kunst'.)", in: Ders., Sämtliche Schriften und Dichtungen, 5. Aufl., Leipzig 1911, Bd. 12, S. 341–343.

49 Sven Friedrich, "Gibt es eine Philosophie des Weiblichen bei Wagner?", in: Vill, Das Weib der Zukunft (s. Anm. 23), S. 44–56, hier S. 55f, Kursiva im Original geperrt.

50 Richard Wagner, "Oper und Drama", in: Ders., Sämtliche Schriften und Dichtungen, sog. Volksausgabe beziehungsweise 6. Aufl., Leipzig 1913, Bd. 4, S. 29.

51 Ursula Link-Heer, "Der 'androgyne Wagner' und die Dramaturgie des Blicks", in: Vill, Das Weib der Zukunft (s. Anm. 23), S. 84–94, hier S. 84f.

52 Nattiez, Wagner Androgyne (s. Anm. 46).

53 Vgl. Nattiez, Wagner Androgyne (s. Anm. 46), S. 315ff.

54 Vgl. hierzu auch Link-Heer, "Der androgyne Wagner" (s. Anm. 51), S. 86.

55 Vgl. Rudolf Kloiber, Wulf Konold und Robert Maschka, Handbuch der Oper, München und Kassel 2002, S. 837.

56 Erwähnung fand bereits die Paarung Sopran/Tenor, der teilweise ein 'niederes' Paar zugeordnet ist, das auch tiefer zu singen hat. Der Bass ist oft machtvollen und respektablen Figuren zugeordnet; der Bariton repräsentiert die Bösen, Konkurrenten des Tenor oder sind neutral konnotiert; der Alt ist [...] alt, geheimnisvoll oder bloße musikalische Notwendigkeit (tiefe Frauenstimme in Ensembles); der Mezzosopran ist die erfolglose Konkurrenz des Soprans oder seine Vertraute – bei Wagner und anderswo. Um Beispiele für diese für das 19. Jahrhundert typische Anlage zu bemühen, sei auf die Besetzung und dramaturgische Funktion der Personnage des Wagner’schen Lohengrin oder der von La Forza del Destino und anderen Werken Verdis verwiesen. Gerade bei letzterem Komponisten sind oftmals Dreier-Konstellationen anzutreffen, bei denen die Rolle der antagonistischen Kraft entweder durch einen Mezzosopran oder einen Bariton ausgefüllt wird.

57 Vgl. Barbara Josephine Guenther, "The Silver Age of Wagnerian Singing", in: Wagner Outside the Ring, hrg. von John Louis DiGaetani, Jefferson, London 2009, S. 227–250, hier S 234: "[...] the only Wagnerian contralto roles are Erda; [...] Mary; and the first Norn. (Five of the Valkyries are designated as a group made up of mezzo-sopranos and contraltos; Götterdämmerung’s Waltraute is a mezzo.) There are not even many major Wagnerian mezzo roles, only Fricka, Ortrud and Brangäne [...] Wagnerian soprano Astrid Varnay states that it is common for a dramatic soprano to be categorized incorrectly as a mezzo. Certainly it is common [...] that Wagner’s soprano roles include low notes of mezzo quality."

58 Der Heldentenor ist tiefer gelagert, Spitzentöne reichen aber bis an die Grenzen der allgemeinen Tenor-Tessitur. Vgl. hierzu Peter-Michael Fischer, Die Stimme des Sängers. Analyse ihrer Funktion und Leistung – Geschichte und Methodik der Stimmbildung, Stuttgart und Weimar 1998, S. 129–137.

59 Vgl. Fischer, Die Stimme des Sängers (s. Anm. 58), S. 129–137.

60 Der Begriff der Heterosexualität ist in diesem Kontext als erweitert zu verstehen und nicht etwa auf das private Sexualleben der Opernfiguren bezogen, sondern auf ein kulturelles Konzept, das als quantitativ und qualitativ höherwertige Konstellation die bipolare zwischen Mann und Frau ansieht.

61 Durch seine mittige männliche Stimmlage des Bariton.

62 Friedrich, "Loge" (s. Anm. 7), S. 194.

63 Vgl. Bolen, Ring of Power (s. Anm. 12), S. 122.